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Der pakistanische Rechtsgelehrte Muhammad Tahir ul-Qadri: kein Wenn und Aber, was Selbstmord-attentäter betrifft.

Foto: AP Photo/Akira Suemori

London/Lahore - Auf der Homepage von Minhaj ul-Qoran (Der Weg des Koran) lässt sich das obere Eckchen der Seite lösen, und zum Vorschein kommt der Satz: „Laut einem Hadith (Prophetentradition), überliefert von Bukhari, wird ein Selbstmordattentäter, der unschuldige Menschen um des Paradieses willen tötet, das Paradies nie riechen, sondern er wird im Höllenfeuer schmoren." Der Gründer dieser islamischen Organisation, der pakistanische Islamgelehrte Muhammad Tahir ul-Qadri, stellte am Dienstag in einer Pressekonferenz in London seine 600 Seite starke Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) vor, in der er, wie es in Vorausmeldungen hieß, den Terrorismus im Namen des Islam kompromisslos verurteilt.

Laut Tim Winter, einem Islamwissenschafter aus Cambridge, erklärt Qadri in seiner Fatwa Terroristen zu vom Islam Abgefallenen. Damit stellt er sich der extremistischen Propaganda entgegen, die Selbstmordattentäter zu „Märtyrern" mit besonderen Gratifikationen im Paradies hochstilisiert. Dass Extremisten von dieser Fatwa überzeugt werden, ist unwahrscheinlich. Aber junge Männer, die auf dem Scheideweg stehen, ob sie sich extremistischen Organisationen anschließen sollen, könnten davon beeinflusst werden, meint Winter.

Radikalisierung der Diaspora

Wenn die Fatwa auch eine Reaktion Qadris auf die steigende Anzahl von Terrorattentaten in seiner Heimat Pakistan ist, wurde sie nicht zufällig in London vorgestellt: Sie soll sich besonders an die junge islamische Diaspora richten. Qadri hatte sich bereits in der Vergangenheit über die Radikalisierung von Muslimen in Großbritannien besorgt gezeigt. Zu ihnen gehört - nach eigener Aussage - auch der Nigerianer Umar Faruq Abdulmutallab, der vor Weihnachten ein US-Verkehrsflugzeug in die Luft zu sprengen versuchte. Die Mehrzahl der britischen Muslime kommt jedoch aus Pakistan, unter ihnen rechnet sich Qadri einen großen Einfluss aus.

Die Organisation Minhaj ul-Quran, die sich für Dialog und friedliches Zusammenleben einsetzt, unterhält in mehreren britischen Städten, unter anderem London, Birmingham, Manchester, Nelson, Walsall, Glasgow und Dundee, Filialen. Wie groß ihr Einfluss unter britischen Muslimen jedoch wirklich ist, lässt sich schwer sagen.

In einem Reuters-Interview sagte der Islamgelehrte und Autor, er greife in seiner Fatwa alle Aspekte auf: „Ich habe keinen Stein umgedreht gelassen und bin auf jede einzelne Frage eingegangen." Das Rechtsgutachten Qadris ist bei weitem nicht das erste, das Terrorismus verurteilt, laut seinem Autor sei es aber die erste Verurteilung „ohne Wenn und Aber". Indem er jedoch Muslime, die so etwas tun, außerhalb der islamischen Gemeinschaft platziert, geht er noch einen Schritt weiter. Es gebe keinen Platz für Märtyrertum, und Terrorismus sei nie und nimmer als Jihad, als Heiliger Krieg, anzusehen, sagt Qadri laut BBC. Der Autor ist davon überzeugt, dass er in seiner Schrift die Ideologie von Al-Kaida ad absurdum führt.

Der „Muslim Council of Britain", die muslimische Dachorganisation für etwa 500 muslimische Gruppen in Großbritannien, hat die Fatwa begrüßt. Auf die Zustimmung der britischen Behörden, die bestimmt auch zufrieden sind, legt Qadri nach eigener Aussage aber keinen Wert. (guha, DER STANDARD, Printausgabe, 3.3.2010)